Die jüngste Putsch-Welle in Afrika

Umdenken demokratischer Akteur*innen in der internationalen Gemeinschaft erforderlich

Umdenken demokratischer Akteur*innen in der internationalen Gemeinschaft erforderlich

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Saibu, Ghadafi
Die aktuelle Kolumne (2023)

Bonn: German Institute of Development and Sustainability (IDOS), Die aktuelle Kolumne vom 13.11.2023

Bonn, 13. November 2023. Die jüngste Welle von Staatsstreichen in Afrika hat die internationalen Akteur*innen aufgeschreckt, die für demokratische Werte einstehen. Was in Mali nach regierungsfeindlichen Protesten im August 2020 begann, breitete sich bald wie ein unkontrollierbares ‚Harmattan-Feuer‘ auf fünf weitere Länder in der Sahelzone und in frankophonen Teilen von Zentral- und Westafrika aus und brachte die dortigen Regierungen zu Fall.

Während diese Putsche zwar einen besorgniserregenden Trend in Afrika markieren, scheinen sie unter der afrikanischen Bevölkerung jedoch auf breite Unterstützung zu stoßen. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob diese Militärputsche die Erwartungen der Bürger*innen erfüllen werden. Denn so gut wie keiner der bisherigen Militärputsche – vor allem in der Region – hat der Bevölkerung Vorteile gebracht. Nun scheint sich der Staub gelegt zu haben und die internationalen Akteur*innen, denen an einer Demokratisierung gelegen ist, sollten aus dem Geschehenen Lehren ziehen, um weitere Putsche in Afrika zu vermeiden.

Internationale Akteur*innen sollten genau darauf achten, welche Arten von Demokratie sie in Afrika unterstützen. Gegenwärtig sind viele Länder Afrikas langjährige Wahlautokratien (Hybridregime), die sich schon lange hinter der Fassade von Wahlen als Demokratien ausgeben. Das Handeln bzw. Nichthandeln der internationalen Akteur*innen, die Demokratien in Afrika fördern wollen, lässt jedoch darauf schließen, dass sie diese Hybridregime kompromisslos unterstützen, statt sich für demokratischere Regimeformen einzusetzen. Fast 64 % der Netto-Entwicklungsleistungen aller Geber*innen fließen in Länder, die nach international anerkannten Demokratieindizes wie dem Varieties of Democracy Index als nicht vollständig demokratisiert gelten. Daraus folgt, dass Entwicklungsleistungen weiterhin dazu dienen können, unvollständige Demokratien zu stabilisieren.

Infolgedessen ist die Demokratie in Afrika nicht mehr als ein zyklisches Phänomen, das durch scheinbar erfolgreiche Wahlen herbeigeführt wird, die allerdings mit einer ganzen Reihe von systemischen Mängeln einhergehen. So waren zwischen 1990 und 2023 etwa 70 % der Regime in Afrika entweder geschlossene Autokratien (17,6 %) oder Wahlautokratien (51,7 %). Nur 25,1 % waren Wahldemokratien und 5,6 % liberale Demokratien. Die häufigste Regierungsform in afrikanischen Ländern scheint also die Wahlautokratie zu sein, die de facto ein Mehrparteiensystem ist, aber aufgrund erheblicher Unregelmäßigkeiten und Einschränkungen des Parteienwettbewerbs nicht demokratischen Standards entspricht.

Die Unterstützung dieser hybriden Regime als Standardform der Demokratie erweckt den Eindruck, dass funktionierende Demokratien vorhanden sind. Tatsächlich sind diese jedoch nicht nachhaltig, denn sie sehen weder eine vertikale noch eine horizontale demokratische Rechenschaftspflicht vor, während öffentliche Gelder und Ressourcen in großem Maßstab veruntreut werden. Die Bürger*innen geben ihre Stimme in der Erwartung ab, dass die von ihnen gewählten Politiker*innen ihre Wahlversprechen erfüllen. Aufgrund der institutionellen Schwächen und Inkohärenz von Wahlautokratien sind die Regierenden jedoch nicht verpflichtet, ihre Versprechen einzuhalten und können ungehindert ihre Macht missbrauchen. Und so kommt es, dass in vielen afrikanischen Ländern dringend benötigte öffentliche Güter fehlen, während sich korrupte Beamt*innen die Taschen füllen.

Besonders problematisch ist, dass sich diese Regime durch scheinbar demokratische Wahlen als Demokratien ausgeben. Die Bevölkerung, die unter der Unfähigkeit ihrer Regierung leidet, zweifelt zunehmend an der Idee der Demokratie, weshalb andere Regierungsformen wie die Militärherrschaft immer beliebter werden. Menschen in ganz Afrika unterstützen und feierten die Staatsstreiche – nicht etwa, weil sie demokratische Systeme an sich ablehnen, sondern weil sie unzufrieden damit sind, wie die ‚Demokratie‘ funktioniert bzw. nicht funktioniert.

Ein weiterer wichtiger Punkt sind ungerechte (post-)koloniale politische Vereinbarungen zwischen afrikanischen Regierungen und ehemaligen Kolonialmächten, denn sie schüren Feindseligkeiten und begünstigen Staatsstreiche. Dies zeigt etwa der antikoloniale Diskurs gegen Frankreich bei den jüngsten Putschen. Die Bürger*innen kritisieren ungerechte Steuerabkommen, die Monopolstellung von Air France in den frankophonen Ländern, die einseitige militärische Zusammenarbeit und die Dominanz französischer Unternehmen, z. B. in den Uranminen. Verstärkt wurden diese Ressentiments durch die Ambitionen konkurrierender Supermächte, sich in der Region Wettbewerbsvorteile und eine Vormachtstellung zu verschaffen. So soll Russland beispielsweise mit Desinformationskampagnen in afrikanischen Ländern die Stimmung zugunsten antidemokratischer Akteur*innen in der Region aufgeheizt haben. Die Militärjuntas in diesen Ländern beziehen sich oft strategisch auf Russland. Allerdings war Russlands Rolle in vielen dieser Länder bisher eher rhetorischer Natur.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Arbeit von demokratischen Akteur*innen, wie der ECOWAS, zur Stärkung der Demokratie über die Ermöglichung von Wahlen hinausgehen sollte. Außerdem ist es notwendig, die demokratischen Verfahren zu institutionalisieren und zu festigen. Der derzeitige Ansatz internationaler Akteur*innen, Hybridregime als gültige Form der Demokratie anzuerkennen, legt nahe, dass Wahlautokratien bereits liberalen Standards genügen würden. Allerdings gelten Wahlautokratien als eine fragile und defizitäre Form der Demokratie – weitere Schritte zur Demokratisierung sind notwendig. Zudem lässt sich die Zustimmung der afrikanischen Bevölkerung zur Demokratie nur dann gewinnen, wenn keine ungerechten (post-)kolonialen politischen Vereinbarungen mehr geschlossen werden.

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Saibu, Ghadafi

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